Christine S. Thon und Lars H. Beuse
:asche:
Christine S. Thon und Lars H. Beuse generieren aus vorgefundenem Vogelsang-Material, durch
einen direkten und prozesshaften 8 Wochen währenden Eingriff in der vorgefundenen Architektur
eine interventionistische Skulptur, die mit ihrer Außenseite an eine ruinenartige Struktur erinnert auf
die Formeln, Gleichungen, Linien aufgebracht sind, während in ihrem Inneren eine große Strenge
herrscht – eine innen-aussen Dialektik, die die Grundbestandteile der Vogelsang-Architektur in eine
abstrakte Form übersetzt, aus ihr hervorgegangen ist, gleichsam herausdestilliert worden ist.
Im Innersten der Struktur befindet sich eine technische Stahl/Plexiglaskonstruktion, die als
reaktives Behältnis für die Performerin dient – der „Vogelsang Reaktor“.
Dieser innerste Kern der Skulptur kann vom Besucher nur virtuell durch eine Video Liveübertagung
erlebt werden, die auf einem alten Fernseher ausserhalb der Skulptur zu sehen ist. In die
Außenwand der Skulptur sind kaleidoskopartige Röhren eingebracht, durch die die BesucherInnen
Teilaspekte der inneren Strukturen erkennen können.
Während der Performance wird der Reaktor eingeschaltet – die Performerin steigt in den inneren
Kern, um Teil einer Erinnerungsmaschine zu werden, um selbst Erinnerung zu sein.
Die ehemalige NS -“Ordensburg“ Vogelsang war eine Einrichtung, in der die politische Führung der
Nationalsozialisten auf ihren Einsatz in der Verwaltung des Deutschen Reiches vorbereitet wurde.
Wie kaum ein anderes Bauwerk steht Vogelsang für den Machtanspruch einer neuen „Elite“.
Die Architektur Vogelsangs spiegelt diesen Aspekt, mit all seinen verborgenen Ebenen, besonders
deutlich. Auf den ersten Blick scheint das wichtigste Material des Bauwerks Bruchstein zu sein, ein
Material, welches zu den traditionellen Baustoffen der Eifel zählt. Doch wenn man die Oberfläche
aus Bruchstein “abkratzt”, stößt man auf eine Konstruktion aus Stahlbeton, ein Material aus dem
Bunker gebaut wurden – Vogelsang ist eine Stahlbetonfestung, tauglich als Bunker, als Kaserne, als
durch und durch kriegerischer Ort.
In dieser Stahlbetonfestung waren nationalsozialistische politische Führungsakademien, die
sogenannten „Ordensburgen“ und die sogenannten „Adolf Hitler Schulen“ untergebracht –
Bildungseinrichtungen in Stahlbetonkonstruktionen, eingebettet in die Landschaft der Eifel.
In diesen Gebäuden konzentrieren sich wesentliche Aspekte der nationalsozialistischen Ideologie:
romantisierende, auf gemanisch-mystische Wurzeln verweisende Aspekte einerseits, und sehr
moderne industrielle Vorgehensweisen andererseits. Immer trägt diese Ideologie, selbst in ihren
Bildungseinrichtungen, die Möglichkeit und Option des Krieges in sich.
Das romantische, das „urdeutsche“, die Betonung der Naturwahrnehmung, die Verwendung
scheinbar natürlicher Materialien erweisen sich konkret im „Bau Vogelsang“, als theatralische
Inszenierung, als ein Ritual mit dem Ziel, durch emotionale Ansprache die Herzen der damaligen
Zeitgenossen zu gewinnen und von den kriegerischen Absichten abzulenken.
Wenn aber alles, was die Nationalsozialisten wollten, am Ende doch Krieg war, so ist auch ihr
Bildungssystem eine Form des Krieges – Bildung ist Krieg – Bildung ist Bunker – Bildung muss in
Stahlbeton gegossen werden.
Die Bildungssysteme der Nationalsozialisten waren tatsächlich Selektionssysteme – es waren
Syteme der akribisch erstellten „Listen“, der Quantifizierung. Selektion, Befehl und Gehorsam,
Gleichschaltung sind in diesem Zusammenhang Begriffe von entscheidender Bedeutung.
Lange vor 1933 bereiteten die Nationalsozialisten den Bildungsfeldzug vor: Schriftsteller, Künstler,
Intellektuelle waren vom ersten Tag der „Bewegung“ ein Hauptangriffsziel der NSDAP. Wenige
Monate nach der Machtergreifung kam es zu Bücherverbrennungen, von denen in den damaligen
Medien live berichtet wurde: Mann, Brecht, Heine, Tucholsky, Kästner waren wenige unter den
vielen, deren Bücher verbrannt wurden.